Reportage von Laura Pöschel
Die vorgewärmte Trommel füllt sich mit grünen Bohnen. Nur an ihrer Form lässt sich erahnen, was hier später grammgenau abgefüllt wird. Der gusseiserne Zylinder beginnt sich zu drehen. Ein Gasbrenner sorgt dafür, dass er gleichmäßig erhitzt wird. Die ovalen Bohnen werden gelb, es duftet nach Popcorn. Nach sieben bis zehn Minuten sind die Bohnen deutlich größer geworden und haben jetzt eine goldbraune Farbe.
Normalerweise riechen neue Geschäftsräume in den ersten Wochen nach Einzug nach Putz und Farbe. Nicht so bei DREIELF in der Bördestraße: Der an eine industrielle Werkhalle erinnernde Raum ist erfüllt von frischem Kaffeeduft. Jonas Husarek steht an der Siebträgermaschine. Anfang Januar 2024 ist der 31-Jährige mit seiner Kaffeerösterei in die „Meistermeile“ im Hildesheimer Ostend eingezogen, nachdem er zuvor vier Jahre einen kleinen Laden in der Dingworthstraße am Moritzberg betrieben hat. In dem neuen Bauprojekt arbeitet er jetzt Tür an Tür mit Handwerksbetrieben und Dienstleistungsunternehmen und kann vor allem wieder vor Ort rösten. Die baulichen Bedingungen hatten das am alten Standort zuletzt unmöglich gemacht. Nun steht sein schwarzer Trommelröster in der Bördestraße und hat bereits einige Kilo Kaffee veredelt.
Mittlerweile duftet es nicht nur nach Popcorn, auch das Knackgeräusch erinnert an die aufplatzenden Maiskörner. Eine knappe Viertelstunde ist vergangen, seitdem die grünen Kügelchen in die Trommel gefüllt wurden. Die nun braunen Bohnen werden mit jeder Minute dunkler. Nach einigen Minuten knackt es ein zweites Mal.
Während seines Studiums der Ernährungswirtschaft hat Jonas Husarek in verschiedenen Cafés gearbeitet. Mit echter Kaffeekultur habe das aber nicht viel zu tun gehabt: „Da wurde viel mit Sahne und Sirup gearbeitet.“ Die echte Kaffeekultur hat er durch ein Praktikum in einer Kaffeerösterei kennen- und lieben gelernt. „Ich wusste sofort, dass das etwas für mich ist“, erinnert sich der Mann mit dem rotblonden Bart, während der tiefschwarze Kaffee in die weiße Tasse läuft. Im November 2019 entschied sich Husarek für den Gang in die Selbstständigkeit. Was er da noch nicht weiß: Ab März 2020 sind gemütliche Treffen in Cafés erstmal unmöglich.
Die dunkelbraunen Bohnen fallen aus der Trommel in das Kühlschiff. Hier werden sie durch einen kalten Luftzug und regelmäßiges Umrühren abgekühlt. Nachdem sie einen Entsteiner passiert haben, werden die Bohnen in Beutel verpackt und für einige Tage in Ruhe gelassen.
Eigentlich wollte Jonas Husarek seine Kaffeerösterei Mitte März 2020 eröffnen. Coronabedingt konnten die ersten Kaffees erst im Juni über die Ladentheke gehen, die Verzögerung hatte der Jungunternehmer für den Aufbau seines Online-Shops genutzt. Rückblickend sagt er: „Ich konnte langsam in die Selbstständigkeit hineinwachsen, musste nicht am ersten Tag direkt 100 Prozent geben.“ Beim Kaffeerösten muss man sich auf die jeweilige Bohne einstellen. Ähnlich flexibel reagierte Husarek in den ersten Monaten seiner Selbstständigkeit auf die Pandemiebedingungen. 2021 betrieb er einen Pop-Up-Store in der Almsstraße, der die Marke vom Moritzberg in die Innenstadt holte. Mittlerweile werden Cafés von DREIELF – der Name steht für die ersten Ziffern der Hildesheimer Postleitzahl – in verschiedenen Restaurants angeboten und an mehreren Orten verkauft. In Supermärkten möchte Husarek seine Bohnen vorerst nicht platzieren, um ihnen nicht den Charakter einer industriellen Massenware zu geben. „Kaffee ist ein hart umkämpfter Markt. Man muss sich fragen, wie man sich positioniert und ein Alleinstellungsmerkmal finden.“ Vollautomaten und Kaffeepads lassen einen oft vergessen, dass die Zubereitung einer Tasse Kaffee Handwerk ist. Und das fängt bei der Ernte an: Husarek reist regelmäßig in die Anbauregionen seiner Kaffeebohnen, nach Brasilien oder Peru, um dort mit den Erzeugerfamilien in Kontakt zu treten. „Wenn du einmal an einem steilen Hang gestanden hast, unter dir ein matschiger Boden und über dir die brennende Sonne, und den Pflückeimer um deinen Bauch mit Kaffeebohnen füllst, dann wirst du demütig. Kaffee ist neben Schokolade das schlimmste Ausbeutungsprodukt. Jeder, der nur etwas nachdenkt und ein Fünkchen Empathie besitzt, kann davor nicht die Augen verschließen“, betont Husarek. Aus diesem Grund sei es ihm von Anfang an klar gewesen, auf nachhaltige und faire Anbaubedingungen zu setzen.
Kaffeebohne ist nicht gleich Kaffeebohne. Je nach Anbauregion werden die prallen Kaffeekirschen entweder über mehrere Stunden in der Sonne getrocknet oder direkt abgeschält und fermentiert. Sonnengetrocknete Bohnen besitzen süßliche Noten, fermentierter Kaffee ist säuerlich. Länger geröstete, dunkle Sorten sind würzig und rauchig, sie schmecken nach Schokolade oder Nuss. Kürzer geröstete, gelb-rote Bohnen sind fruchtig, ihr Geschmack erinnert an Mango, Papaya oder Erdbeere.
Für viele Menschen ist Kaffee ein Mittel zum Zweck: Morgens nach dem Aufstehen wünschen sie sich ein Getränk, das heiß ist und wach macht. „Die wenigsten wissen, dass Kaffee mit 600 bis 1000 Aromastoffen noch komplexer ist als Wein.“ Die Zubereitungsberatung gibt es bei DREIELF gratis dazu: 6 Gramm auf 100 ml Wasser. Das Kaffeemehl mit heißem, aber nicht mehr kochendem Wasser benetzen und für eine halbe Minute aufquellen lassen. Anschließend den Kaffee in kreisförmigen Bewegungen aufgießen. „Dann schmeckt man alle Aromen“, erklärt Husarek. Ab Frühjahr 2024 bietet er Workshops an. In diesen geht es nicht nur ums Rösten und Kaffeekochen: „Pro Kilo geröstetem Kaffee fällt eine Steuer in Höhe von 2,19 € an. Nachhaltig produzierte Bohnen haben also ihren Preis.“ Etwas über 30 € kostet das Kilo Kaffee bei Dreielf, die Bohnen werden auch in kleineren Mengen zu 250 g oder 500 g verkauft. Das feste Repertoire an Kaffeesorten, zu denen der „Moritzberger“ (ein Filterkaffee mit schokoladig-orangiger Note) oder der nussige „Hillywood“-Espresso zählen, wird durch saisonale Röstungen etwa zu Ostern oder Weihnachten ergänzt. Auch für die 1. Liga-Volleyballer der Helios Grizzlys Giesen gibt es mit dem „Grizzlys Roast“ eine eigene Röstsorte, die mild und säurearm ist.
Jonas Husarek würde sich jederzeit wieder für die Selbstständigkeit entscheiden, auch wenn sie ihren Preis hat: „Die Marke ist mein Gesicht.“ Husarek hört diesen Satz häufig und mag ihn nicht, er stimmt aber zu: Oft wird er auf der Straße erkannt, Feierabend hat man als junger Gründer selten. „Man muss sich klar machen, dass eine Selbstständigkeit einen Großteil der Zeit einnimmt. Für mich ist sie genau der richtige Weg, ich mag es nicht, wenn andere die Lorbeeren für meine Arbeit einfahren.“ Streng genommen befindet sich DREIELF immer noch in der Anfangsphase, erst nach fünf bis sechs Jahren könne man sagen, ob ein Projekt erfolgreich sei. Jonas Husarek beschäftigt mittlerweile zwei fest angestellte Mitarbeitende, eine Werkstudentin und fünf Aushilfen, Husarek kann von seinem Laden leben. Nur zum Kaffeetrinken kann sich der Jungunternehmer nicht mehr verabreden: „Im Urlaub mache ich mal eine Ausnahme, aber sonst koche ich mir meinen Kaffee am liebsten selbst.“
Text: Laura Pöschel